Sitzende Dodo

Ernst Ludwig Kirchner

Sitzende Dodo

1909
Farbige Kreide auf festem, grauem Bütten
31,5 x 22 cm


Das Blatt zeigt Kirchners Freundin der Dresdner Jahre, die Hutmacherin Doris (“Dodo”) Grosse, die ihm in dieser Zeit das liebste Modell ist.
Die Papierarbeit, die in kraftvoller und linearer Strichführung noch die großartige „weiche“ und rundere Formensprache Kirchners aus der Dresdner Früh-Zeit des Expressionisten manifestiert, steht beispielhaft für den freien Umgang Kirchners mit Körperformen und Gesichtern. Unsere lebhafte Kreidezeichnung ist ein Resultat seiner unendlichen Schaffenskraft und des einzigartigen zeichnerischen Ausdrucksvermögens des Künstlers.

Verso befindet sich ein Abzug des 2. Zustands der Kaltnadelradierung „Bildnis Maler Huber“. Gezeigt wird der zu den wichtigsten Schweizer Expressionisten gehörende Hermann Huber (1888–1967) im Dreiviertelprofil vor einer Landschaft. Huber ist ab 1910 auf den berühmten Moderne-Schauen in Deutschland (z.B. der Sonderbundausstellung in Köln 1912) vertreten und Kirchner zeichnet ihn einige Male. Er lernt ihn später während seiner Davoser Jahre vermutlich näher über den gemeinsamen Freund Otto Meyer-Amden kennen, der seine beiden letzten Lebensjahre in Hubers Haus auf der Halbinsel Au im Zürichsee verbringt.

Über Ernst Ludwig Kirchner

Geboren: 1880 in Aschaffenburg
Gestorben: 1938 in Davos

Bereits im jungen Alter von 25 Jahren gründet Ernst Ludwig Kirchner 1905 die Künstlervereinigung „Die Brücke“. Zusammen mit seinen Kommilitonen Erich Heckel, Gritz Bleyl und Karl Schmidt-Rottluff, die er während seines Architekturstudiums in Dresden kennen lernt, wollen sie traditionelle, konservative Kunsttraditionen überwinden und neue Ausdrucksformen etablieren. Sie alle verstehen sich selbst als Autodidakten. Kirchner kann als führende Kraft dieser Gruppe mit ihrer unmittelbar erfassten, antibürgerlichen Kunstauffassung gelten, deren Werke sich auf das Notwendigste reduzieren, mit rohem Duktus und intensiven Farben. Und auch wenn sich der Künstlerverein, den wir heute als Keimzelle des deutschen Expressionismus betrachten, 1913 nach acht Jahren wieder auflöst, sollten Kirchners wichtigste Arbeiten erst noch entstehen: 1911 umgesiedelt nach Berlin wird die Großstadt des Künstlers bevorzugtes Bildmotiv, wie die großformatige, ikonische Straßenszene „Potsdamer Platz“ eindrucksvoll belegt. 1915 zieht der Künstler wie so viele andere Zeitgenossen mit ihm freiwillig in den Krieg – ein verhängnisvoller Schritt, infolgedessen Kirchner sich nach körperlichem und seelischem Zusammenbruch in einem Sanatorium bei Königstein (Taunus) behandeln lässt. Ab 1917 sprechen wir vom Spätwerk des Künstlers, dass sich nach seinem Umzug nach Davos in die Schweiz durch tapisserie-ähnliche Landschaftspanoramen und ausdrucksstarke Figurenbilder auszeichnet. Der sogenannte „Neue Stil“ ist gekennzeichnet durch eine linear abstrahierende, flächige Malweise. Die Nationalsozialisten diffamieren Kirchner als „entarteten“ Künstler und beschlagnahmen 639 seiner Werke. Verzweifelt und von Krankheit und Wahn geplagt, begeht Kirchner – nachdem er viele seiner eigenen Skulpturen und Werke zerstört – in Frauenkirch-Wildboden 1938 Selbstmord.