Artisten (Variété-Probe)
Damenringkampf

Erich Heckel

Artisten (Variété-Probe)

Um 1910
Bleistift und farbige Kreide auf Velin
14,5 x 11,5 cm


Die unkonventionelle Erlebniswelt der Artisten ist für Heckel immer wieder ein fesselndes Thema und Inspirationsquelle. Er ist fasziniert von der Kühnheit und Schöpferkraft des Menschen und seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten. Eine Serie derartiger Motive findet sich bei Heckel besonders in den Jahren 1909–1914. Einiges spricht dafür, daß es sich bei der frontal im Bild platzierten Artistin um Fränzi oder Marcella handelt. Die berühmten beiden Lieblingsmodelle der „Brücke“-Künstler, einst als vermeintliche Geschwister eines Artistenpaares angesehen, finden sich in zahlreichen Darstellungen dieser Zeit. Heckels heiterer Zusatz einer freizügigen Rückenansicht mit gebückter Cancan-Tänzerin, die ihren Rock lüpft, bricht die der Akrobatin innewohnende Statik ein wenig auf und betont den unkonventionellen Blickwinkel sowie Heckels stenographisches Zeichnen. Aber vor allem durch die reinen, leuchtenden Primärfarben und die Kraft der ungestümen Linie erzielt der Künstler eine mitreißende Lebendigkeit und Spannung im Bildraum.

Erich Heckel

Damenringkampf

1910
Farbige Kreide auf leichtem Karton (gelaufene Postkarte)
9 x 14 cm


Der Grußtext lautet: 'L.E. [Liebe Emy] Besten Dank für die / Gastfreundschaft für meine /
Bilder. Ich habe nach Bremen
[geschrieben?]. Herzl. Gruss D. Erich /
Viele Grüsse Ernst Kirchner'

Diese flotte und farbstarke Zeichnung ist beispielhaft für den „Brücke“-Expressionismus der Dresdner Jahre und zeigt ein originelles Motiv mit dem Heckel in die Berliner Subkultur eintaucht. Ein sogenannter „Damenringkampf“ ist in den 1910er Jahren häufig in Varieté-Theatern zu sehen. Dem vergnügungssüchtigen Publikum wird eben auch Skurriles geboten, u.a. ein Ringkampf zweier Bühnenkünstlerinnen. Heckel geht es in seiner Darstellung vor allem um losgelöste Formen und frische, raumschaffende Farben, und darum, das Gefühl der knisternden Atmosphäre und Dynamik dieses Events zu vermitteln. Mit blauen, gelben und roten Farbtönen und schwungvollen Linien wird ein optisches Erlebnis mit einer auf das Wesentliche reduzierten Form umgesetzt.

Heckel sendet die Karte 1910 an Emy Frisch, gebürtige Chemnitzerin und Photographin, die 1919 Karl Schmidt-Rottluffs Ehefrau wird. Um 1909/10 steht sie allen Mitgliedern der „Brücke“ Modell. Heckel bedankt sich bei ihr, daß sie Bilder bei sich in Berlin-Friedenau beherbergt; außerdem geht es um Ausstellungsmöglichkeiten. Nicht nur „Erich“ grüßt am Ende, auch „Ernst Ludwig Kirchner“, womit unsere Kunstpostkarte einmal mehr die (noch) starke Verbindung dieser zwei Brücke-Künstler, die sich in jener Zeit ein Atelier teilen, belegt.

Über Erich Heckel

Geboren: 1883 in Döbeln/Sachsen
Gestorben: 1970 in Radolfzell

Erich Heckel wird am 31. Juli 1883 in Döbeln (Sachsen) geboren. Schon in der Schulzeit lernt er Karl Schmidt-Rottluff (1884 – 1976) kennen, mit dem er sich anfreundet. Im Jahr 1904 tritt Heckel ein Architekturstudium an der Technischen Hochschule Dresden an, anschließend, 1905, gründet er gemeinsam mit Kirchner, Bleyl und Schmidt-Rottluff die Künstlergemeinschaft „Die Brücke“.
Heckel bricht das Studium und seine Arbeit als Bauaufseher ab, um sich nur noch der Graphik und Malerei zu widmen. Ab 1907 verbringt Erich Heckel die Sommermonate gemeinsam mit Schmidt-Rottluff in Dangast an der Nordsee und 1909 bzw. 1910 mit Kirchner und Max Pechstein an den Moritzburger Teichen nahe Dresden. 1911 folgt der Umzug der „Brücke“ nach Berlin.
Nach dessen Auflösung findet die erste Einzelausstellung Heckels bei Fritz Gurlitt in Berlin statt (1913). Ebenfalls seit diesem Jahr verbringt der Künstler die Sommer- und Herbstmonate an der Flensburger Förde.
Den Ersten Weltkrieg erlebt Heckel als Sanitäter für das Rote Kreuz in Flandern, wo er u.a. Max Beckmann kennen lernt.
Zurück in Berlin beteiligt sich Erich Heckel an Ausstellungen der sog. „Novembergruppe“ und reist zudem durch Europa.
Während der Ära der Nationalsozialisten erhält Heckel Ausstellungsverbot und seine Werke werden als „entartet“ angesehen. 729 seiner Gemälde werden aus deutschen Museen beschlagnahmt, sein Berliner Atelier 1944 bei einem Bombenanschlag zerstört. Heckel selbst flüchtet zunächst an die Flensburger Förde, wo zahlreiche Aquarelle entstehen.
Später siedelt er nach Hemmenhofen am Bodensee über und erhält von 1949 bis 1955 eine Professur an der Hochschule für Bildende Künste in Karlsruhe. Im Jahre 1955 nimmt der Künstler an der „documenta I“ in Kassel teil. Erich Heckel verstirbt am 27. Januar 1970 in Radolfzell/Bodensee.